Man könnte jetzt oberflächlich an eine neue Riverside-Platte herangehen. Zum Beispiel mit der Frage, ob denn der Band auch dieses Mal ein mehr oder weniger gelungener Gag in Sachen Albumtitel einfällt. Und siehe da: "Love, fear and the time machine" ist das sechste Album der polnischen Progger und hat sechs Wörter im Titel. Wow. Man könnte aber auch wieder die allseits beliebten Vergleiche mit Porcupine Tree heranziehen und fragen, ob der Härtegrad der Platte im Vergleich zum Vorgänger erneut angezogen wird oder ob die immer gegenwärtige Melancholie der Songs dieses Mal die Oberhand behält. Dazu später mehr. Man könnte an "Love, fear and the time machine" aber auch die Frage stellen, ob diese Platte wenigstens im Ansatz die erhabene Großartigkeit des Vorgängers "Shrine of new generation slaves" zu erreichen imstande ist.
Erster Durchlauf. Und nach wenigen Sekunden bist Du gefangen. Gefangen im sanften Gewebe einer bittersüßen Melodie. Die auf einem sanften Bassteppich dahinzugleiten scheint, fragil und doch unumstößlich. Nur ist die Ruhe trügerisch, mündet "Lost (Why should I be frightened by a hat?)" doch spätestens zur Hälfte des Songs in ein Riff, dessen simple Eingängigkeit schon fast frech ist, ohne jedoch durch zu große Ruppigkeit zu verstören. Und spätestens beim folgenden "Under the pillow" wird die eingangs gestellte Frage nach dem Härtegrad endgültig beantwortet. Ja, es kracht durchaus noch. Nein, das verstört nichts und niemanden. Und das ist auch Sinn und Zweck der Übung, liegt der wahre Zauber doch im Detail, hier in der wunderbar verspielten Schlussphase des Songs.
Riverside werden also weicher, weichgespült gar? Auch dies nicht. Denn die Polen gehen einen Schritt zurück in die musikalische Frühphase der Band, streichen einen Großteil der bleiernen Schwermut und gehen genau dadurch vorwärts. Klingt widersprüchlich, ist aber letztlich in seiner Konsequenz brillant. Nehmen wir einmal "#Addicted": Was vordergründig als nettes Liedchen vorbeizumarschieren scheint, entpuppt sich als Ohrenschmeichler, gekommen, um genau dort zu bleiben. Überhaupt besticht der Mittelteil der Platte eben gerade durch seine Einfachheit, durch die Lässigkeit, mit der Frontmann und Bassist Mariusz Duda mittlerweile feinste Prog-Kost liefert. Denn viel mehr als einen kleinen, aber effizienten Basslauf als Fundament und ein paar Moll-Akkorde braucht es offenbar nicht, um große Kunst zu erschaffen. Und für diejenige Fraktion, die unter Progressive Rock nicht nur die Neudefinition eigener Grenzen, sondern instrumentale Feuerwerke versteht, bieten "Saturate me" und "Towards the blue horizon" zudem Frickelparts, wie sie für Riverside bislang eher unüblich waren.
Womit wir wieder bei den Fragen wären. Nein, die alles niederreißende emotionale Wucht der Vorgängerplatte erreicht "Love, fear and the time machine" nicht ganz, dazu fehlen die ganz großen Widerhaken. Aber wäre nicht genau das der Stillstand, den man dann der Band umso genüsslicher zum Fraß vorwerfen würde? Es gibt genau einen großen Fehler, den man mit dieser Platte machen kann. Nämlich den des beiläufigen Nebenbeihörens. "Love, fear and the time machine" ist eben nicht verstörend. Will es auch nicht sein. Und genau deswegen wirkt die Platte zutiefst emotional und aufwühlend. Denn plötzlich findet die Welt draußen nicht mehr statt. Der Klangkosmos von Riverside mag vordergründig sanfter geworden sein. Seichter ist er mit Sicherheit nicht. Sondern hintergründiger und vielschichtiger. Brillant.