Besser als 16:9
Das Gefühl, in einer ruhelosen Zeit zu leben, kennt jeder von uns. Noch bevor man Etwas kennen und schätzen gelernt hat, ist es schon wieder veraltet und durch neues, besseres abgelöst worden. Man ist permanent gezwungen mit der Zeit zu gehen. Das Gefühl des Schritthalten-Müssens, dem viele dabei zwanghaft unterliegen, haben Riverside auf „Anno Domini High Definition“ aufgegriffen und vertont. Es geht um Menschen, die wissen, dass sie das Tempo erhöhen müssen um nicht den Anschluss zu verlieren – über den ständigen Wettkampf, die Unsicherheit und den dadurch bedingten Stress. Klar, dass dieser Ansatz kein in sich ruhendes Album hervorbringen kann. „Anno Domini High Definition“ ist deutlich schneller, unruhiger und lauter als die drei Vorgänger.
„Hyperactivate“ beginnt mit sanften Pianoklängen ehe langsam ein pulsierender Schlagzeug-Donner-Groove einsetzt und das Stück auf volle Fahrt bringt. Nach einem kurzen Break setzt Mariusz Dudas bekannte Stimme mit „It´s just another day of my life“ in den Song ein und ergänzt die letzte Zutat zum charakteristischen Riverside-Sound. Die Dynamik steht weit im Vordergrund. Immer wieder pendelt das Quartett zwischen ruppigen und ruhigen Passagen. Bereits hier zeigt sich schon deutlich die härtere Grundausrichtung des Albums, die auf diese Weise aber prächtig funktioniert.
Eine für Riverside typische Basslinie eröffnet „Driven to Destruction“ und ergänzt sich dann mit Keyboards und Gitarre. Die Jungs variieren erneut das Tempo sehr stark um die Abwechslung beizubehalten. Einige langsame Zwischenstücke verleihen dem Titel akustische Beweglichkeit.
„Egoist Hedonist“ wird zuerst von minimalistischen Elementen dominiert ehe ungewohnte harte Riffis die Führung übernehmen um den Hörer danach auf eine irrwitzige Prog-Abfahrt mit spacigen Keyboardsounds, Gitarrensolos und Bläsern (!) zu entführen. Die vier Polen fahren hier ihr ganzes handwerkliches Geschick auf und lassen mit einem solchen knapp zehnminütigen Epos sogar Bands wie Dream Theater links liegen.
„Left Out“ ist das Kontrastprogramm danach. Eine ruhige Ballade, die von der intensiven Stimme und dem gefühlvollen Arrangement lebt und mit jeder Minute energischer und lebhafter wird bis sie schließlich in einer tongewaltigen Eruption ausläuft.
„Hybrid Times“ beendet die exakt 44:44 Minuten von „Anno Domini High Definition“ mit einer abermals ruppigen und rockigen Progrock-Melange, die noch einmal alle Stärken der Band zusammenfasst.
Wie auch schon die Mammut-Konzeptwerke der Vergangenheit ist auch „Anno Domini High Definition“ kaum beim ersten Hören zu erfassen. Unzählige Details und versteckte Melodien warten geradezu darauf von Hörer erfasst zu werden – vorausgesetzt man stellt sich der Herausforderung. Feststellen kann man jedoch schon eines: Riverside lösen sich mit ihrem neuen Album von ihren bereits beschrittenen Wegen und fügen geschickt neue Elemente in den Riverside-Kosmos ein. Das Ergebnis ist ein Anwärter auf das Prog-Album des Jahres.